Vom Leicester City Football Club haben vermutlich selbst einige eingefleischten Fußballfans noch nie etwas gehört. Das ändert sich gerade: Der Klub grüßt seit Samstag von der Tabellenspitze. Das letzte Mal, dass keiner der „üblichen Verdächtigen“ den Titel gewann, ist in der Premier League schon über 20 Jahre her. Am Samstag zeigt sich, aus welchem Holz die „Foxes“ geschnitzt sind, wenn Louis Van Gaals Manchester United zu Gast sein wird. Wer auf Leicester als Meister wettet, kann nach wie vor viel Geld gewinnen – die Buchmacher halten es für quasi ausgeschlossen, dass die graue Maus den Titel holt.
Die Saison 1994/95 war eine denkwürdige für die englische Premier League. Die Blackburn Rovers gewannen in der dritten Spielzeit der gerade erst eingeführten neuen Eliteklasse den Titel, Alan Shearer schoss mit 34 Treffern alles in Grund und Boden. Ansonsten machten bisher vier Teams den Titel unter sich aus:
- Manchester United (13 Titel)
- FC Chelsea (4)
- FC Arsenal (3)
- Manchester City (2)
Leicester mischt die Großen im Moment aber ganz schön auf. Nach der Niederlage des bisherigen Tabellenführers Manchester City gegen den von Jürgen Klopp trainierten FC Liverpool am Samstag konnte sich Leicester durch den 3:0-Auswärtssieg bei Newcastle United an die Tabellenspitze setzen.
Dass es dabei bleibt, glaubt keiner, schon gar nicht die Buchmacher. Beim Anbieter „bwin“ bekommt man jetzt noch 81 für jeden eingesetzten Euro, wenn man auf Leicester wettet! Zum Vergleich, der FC Chelsea, mit 14 Punkten Rückstand bereits weit abgeschlagen, weist immer noch eine 1:50 Quote auf. Die „Foxes“ aber, wie der Tabellenführer von seinen Fans genannt wird, scheinen in den Augen der Wettanbieter trotz Tabellenplatz eins immer noch ein völliger Außenseiter zu sein, wenn es um die Vergabe der Meistertrophäe geht.
Fußballmärchen mit offenem Ende – Pizza und Bier vom Trainer
Dabei hat Leicester jetzt schon ein Fußballmärchen geschrieben. Der Blick zurück zeigt das deutlich. Vor genau einem Jahr bekleidete man noch den letzten Tabellenplatz der Premier League, und auch Ende März waren die „Foxes“ noch letzter – mit gerade einmal 19 kümmerlichen Punkten aus 29 Spielen. Das rettende Ufer sieben Punkte entfernt. Und dann begann das Fußball-Wunder. Aus den letzten 9 Spielen holte man 22 von 27 möglichen Punkten und sicherte sich am Ende souverän den Klassenerhalt.
Und in der neuen Saison machten die Blau-Weißen einfach genauso weiter. 28 Punkte aus 13 Spielen, gerade mal eine Niederlage – gegen Titelkandidat Arsenal London – zudem vier Unentschieden. Den Rest gewann die Truppe aus der 300.000-Einwohner Stadt zwischen London und Sheffield. Nun liegt man erstmals an der Tabellenspitze und feierte das ganze standesgemäß: Gleich in der Kabine gab es Pizza und Bier, im Stile einer Amateur-Truppe.
Spendiert hatte das nicht gerade sportlergerechte Essen Trainer Claudio Ranieri. Er löste damit eine Wette ein, die er seinem Team angeboten hatte: Sollten sie „zu null“ spielen, hatte der Italiener versprochen, für eine leckere Überraschung in der Kabine zu sorgen. Dass er sich auf die Wette einließ, hat einen Grund: Die Mannschaft ist bisher die absolute Schießbude unter den Top-Teams, hat trotz der Erfolgsserie schon 20 Gegentore bekommen. Mehr haben nur die sechs Teams, die die Plätze 15 bis 20 belegt, einstecken müssen.
Vom Fabrikarbeiter zum Nationalspieler – Jamie Vardy macht England verrückt
Dafür stellt Leicester allerdings auch den derzeit besten Sturm der Liga mit bereits 28 geschossenen Toren. Einen Löwenanteil daran hat Knipser Jamie Vardy, der schon auf 13 Treffer in bisher 13 Ligaspielen kommt. Gegen Newcastle baute er seine Serie von Spielen in Folge, in denen er traf, auf 10 aus und stellte damit den Premier League Rekord von Ruud van Nistelrooy ein. Der 26-jährige Vardy schreibt sein ganz eigenes Fußball-Märchen: 2009 spielte er noch in der achten (!) Liga.
Nachdem er in der Jugend von Sheffield Wednesday mit der Begründung, er sei zu klein, ausgemustert worden war, verdiente er seine Brötchen sogar in einer Kohlenfaserfabrik. Nachdem er in eine Schlägerei geraten war, muss er für kurze Zeit gar eine elektronische Fußfessel tragen. Er spielt trotzdem, muss nur manchmal schon früher ausgewechselt werden, weil er ab 18 Uhr Ausgangssperre hat. Über Umwege landete er schließlich beim Zweitligisten Leicester City FC, schoss diesen in seiner zweiten Saison 2013/14 mit 16 Treffern in die Premier League und trifft nun auch in der Eliteklasse nach Belieben – mittlerweile ist Vardy sogar Nationalspieler und lief bereits vier Mal für England auf.
To every single person that has supported me and never doubted me…Thank you…..I’m still pinching myself!
— Jamie Vardy (@vardy7) 21. November 2015
Viele alte Bekannte: Huth, Fuchs, Okazaki
Die anderen Gesichter des Leicester-Märchens haben keinen so kometenhaften Aufstieg wie Vardy hinter sich, vielmehr sind viele alte Bekannte darunter. Da wäre zum Beispiel Shinji Okazaki, der vor dieser Saison für 11 Millionen Euro von Mainz nach Leicester wechselte. Der Japaner sitzt im Moment zwar meist auf der Bank, traf gegen Newcastle aber immerhin als Joker zum 3:0. Ex-Nationalspieler Robert Huth wechselte im Februar zu Leicester und ist ein Gesicht des Aufschwungs. In der Innenverteidigung verpasste der Berliner in dieser Saison noch keine Minute. Mit Christian Fuchs steht neben Okazaki noch ein weiterer Ex-Mainzer im Aufgebot der „Foxes“. Der österreichische Nationalspieler stand gegen Newcastle in der Startelf, kommt insgesamt auf 7 Einsätze in dieser Spielzeit.
Auch der Trainer ist nicht gerade neu im Fußball-Business. Claudio Ranieri war vor seiner Trainerkarriere schon Fußball-Profi, spielte unter anderem beim AS Rom. So richtig auf sich aufmerksam machen konnte er allerdings erst als Trainer: In den letzten 25 Jahren kommt er auf so einige namhafte Stationen, trainierte unter anderem schon den SSC Neapel, den AC Florenz, den FC Valencia, Atlético Madrid, Juventus Turin, Inter Mailand, AS Monaco und den FC Chelsea. Trotz den klangvollen Namen konnte Ranieri noch keine einzige nationale Meisterschaft holen. Dass er mit Leicester womöglich einmal nahe ran kommt, hätte er sich bei seinem Amtsantritt am 17. Juli diesen Jahres vermutlich nicht einmal träumen lassen. Auf die Ziele dieser Saison angesprochen verkündete er jedenfalls kürzlich: „Wir wollen 40 Punkte holen, bevor wir das nicht geschafft haben werde ich nicht anfangen, neu darüber nachzudenken.“ Wenn es so weiter geht mit Leicester City wird Ranieri allerdings bald Gelegenheit dazu haben.
Fotoquellen:
- ID 24266075 © Santamaradona | Dreamstime.com – Italian coach Claudio Ranieri
- ID 34042088 © Stef22 | Dreamstime.com – Jose Mourinho of Chelsea – Press Conference
- ID 43715170 © Pariyawit Sukumpantanasarn | Dreamstime.com – Daniel Drinkwater of Leicester City
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Jochen Klein
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